Ziemlich genau vor einem Jahr befand ich mich in einer Psychiatrischen Klinik. Ich hatte meine erste Woche hinter mir und ich fragte mich: „Was soll ich eigentlich hier? Es geht mir doch wieder gut!“ Ein paar Stunden später wurde ich schmerzlichst daran erinnert, warum ich mich für diesen Klinik-Aufenthalt entschieden hatte.
Der Körper mag es nicht, wenn er ungehört bleibt
Es ist Dezember 2017. Eigentlich war geplant, dass ich für ein paar Monate in einer deutschen Fernseh-Redaktion arbeiten würde. Knapp ein Jahr lang habe ich diesen Auslandsaufenthalt geplant und ich freute mich darauf. Denn mit diesem Job ging ein grosser Traum in Erfüllung.
Doch mein Körper hatte andere Pläne.
Mein Partner Marco begleitete mich nach Deutschland. Eine Woche würde er bleiben und kurz vor meinem Stellenantritt dann wieder zurück in die Schweiz fahren.
Die ersten zwei Tage verliefen ganz okay, ich freute mich über die gut gelegene Wohnung und wir hatten einiges vor. Doch anstatt dass wir die Spezialitäten der lokalen Bäckereien durchprobierten oder im neuen Jahr dem Karneval-Umzug beiwohnten, lag ich tagelang auf dem Boden. Wortwörtlich. Ich lag effektiv auf dem Boden, schaute irgendwelche Youtube-Videos und ich verspürte zwar Hunger, aber ich hatte keine Energie, einkaufen zu gehen.
Wäre Marco nicht bei mir gewesen, ich weiss nicht, was mit mir passiert wäre. Er war es, der schlussendlich einkaufen ging, für uns kochte – aber dann alleine essen musste. Denn ich ertrug die Zweisamkeit nicht mehr. Aber die Einsamkeit bekam mir noch weniger: Ich konnte mich immer weniger bewegen, denn jede Bewegung löste eine Wut aus. Anders kann ich mein damaliges Empfinden nicht in Worte fassen. Es war, als wäre ich von Wut umgeben und ich musste erstarren, damit die Wut nicht aufgewirbelt wurde.
Mein Körper schien zu schreien. Er wollte mir etwas mitteilen. Aber ich wollte nichts davon wissen. Mein Ziel war es lediglich, um jeden Preis diese neue Stelle anzutreten, gute Referenzen zu holen und somit meine Karriere puschen. Wahrscheinlich legte mich mein Körper deshalb lahm: Damit ich ihm zuhören MUSSTE.
Mein innerer Kampf ging immer weiter, bis Marco sagte, dass er mich in diesem Zustand nicht hier lassen werde. Diese Aussage löste einiges in mir aus. Ich fühlte mich vom Druck erlöst, meine berufliche Laufbahn um jeden Preis optimieren zu müssen. Gleichzeitig spürte ich die grosse Enttäuschung, dass mein ursprünglicher Plan nicht funktionieren wird.
Ich entschied mich, das Auslands-Projekt noch vor dessen Beginn zu beenden.

Dieses Foto entstand in der ersten Januarwoche 2018.
Da meine psychische Verfassung sehr schlecht war, konnte ich nicht mehr mit dem Zug zurück in die Schweiz fahren.
Mein Vater fuhr deshalb mit seinem Auto von der Schweiz nach Deutschland zu Marco und mir, damit ich wieder zurück nach Hause kommen konnte. Es war und ist noch heute ein unglaubliches schönes Gefühl, zu wissen, dass man von so liebevollen Menschen umgeben ist. Danke.
Depression ohne Scham
Wieder in der eigenen Wohnung angekommen, war ich wie ausgewechselt: Ich konnte wieder essen und mich bewegen. Und das Unglaubliche: Bis heute habe ich es nie bereut, dass ich die „grosse Job-Chance“ nicht wahrgenommen habe. Denn ich habe begriffen: Ich KONNTE die Chance gar nicht wahrnehmen. Es lag nicht am Wollen oder nicht Wollen.
Zudem passierte in Deutschland etwas: Zum ersten Mal habe ich einer fremden Person von meiner Depression erzählt. Da ich einen Mietvertrag für die deutsche Wohnung hatte, musste ich mich der Vermieterin gegenüber natürlich rechtfertigen, warum ich die vereinbarte Mietdauer nicht einhalten konnte.
Diese Erfahrung prägte mich. Denn diese Person, die ich in meinem Leben erst zwei Mal getroffen hatte, war voller Verständnis und sie erzählte mir, dass ihr Grossvater ebenfalls an Depressionen litt. Plötzlich bemerkte ich: Ich muss mich für meine Depression nicht schämen.
Ohne diese Erfahrung hätte ich „DER VOLPE“ wahrscheinlich nie in die Tat umgesetzt.
Der zweite Versuch
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz war mein Ziel, zu meiner alten Arbeitsstelle zurückzukehren, beziehungsweise mein Arbeitspensum wieder auf 100% halten zu können. Nach ein paar Wochen im Homeoffice merkte ich, dass auch dieser Plan nicht aufgeht. Zwar ging es mir wesentlich besser, aber ich spürte, dass ich Hilfe brauchte. Mehr Hilfe. Denn die wöchentlichen Gesprächs-Therapien waren wertvoll, aber sie halfen mir nicht aus dem Tief heraus.
Zusammen mit meinem Psychiater fasste ich dann den Entschluss, in eine Klinik zu gehen. Vor einem Jahr also trat ich dann meinen Aufenthalt an.
In der Klinik
In den ersten Tagen vergass ich, warum ich überhaupt hier gelandet bin. Ich beobachtete die anderen Patienten und ich fühlte mich in keinster Weise zu ihnen gehörend. Weder spürte ich irgendwelche Verstimmungen, noch hatte ich das Gefühl, dass ich Hilfe benötigen würde.
Doch dann, es war der Freitagabend meiner ersten Klinik-Woche, pochte mein Herz wie wild. Ich sass gerade auf einem Stuhl in einem Raum mit weiteren Patienten. Wir lernten gerade eine neue Entspannungsübung. Die Stimme der Therapeutin wurde immer leiser, da das Pochen meines Herzens immer lauter wurde. Es war kaum auszuhalten.
Ich schlich mich aus dem Raum und meldete dem Personal, dass irgendwas mit meinem Herzen nicht stimmen würde. Im Nachhinein betrachtet, wusste die Pflegerin wohl ganz genau, was los war. Denn anstatt mich beim somatischen Arzt anzumelden, bekam ich wenige Minuten später einen Termin bei meiner betreuenden Psychiaterin. Ein wenig verwirrt, aber froh, Hilfe zu bekommen, machte ich mich auf den Weg zum Behandlungsraum.