Es freut mich sehr, heute die erste Gastautorin auf dervolpe.ch begrüssen zu dürfen: Elianne gibt uns einen tiefen Einblick in ihren Umgang mit der Depression.
Der Kloss im Hals

Das Bild beschreibt das Gefühl, wenn gebündelter, unterdrückter Stress in mir hochkommt. Meist bekomme ich dann auch Herzrasen, Atemnot und den berühmten „Kloss im Hals“.
Dadurch entsteht eine enorme Anspannung und Unruhe, die mir jegliche Art von Konzentration und Energie raubt. Dann habe ich das Gefühl, in dem ganzen Gefühlschaos zu ertrinken.
Der Dämon in mir

Das Zitat „Depression is like having an abusive relationship with yourself“ (=Die Depression ist die selbstzerstörerische Beziehung zu einem selbst) war der Auslöser für dieses Bild.
Oft habe ich das Gefühl, ein Niemand, zu sein. Mein Selbstwertgefühl schwindet auf einen Nullpunkt sowie auch meine Lebensfreude und die Motivation zum Arbeiten (was ich sonst sehr gerne tue!). Auch die Lust am Malen verschwindet. Und manchmal ist meine ganze Kreativität blockiert. Dazu gesellen sich dann auch Gefühle wie Scham, Schuld und Einsamkeit.
Die Depression ist für mich dieser Dämon, der auch gleichzeitig Teil meines eigenen Ichs ist. Manchmal wird er so unendlich gross, dass er mich fast erdrückt.
Das nicht Weinen können

Das Schwarze symbolisiert diese „schwarze Suppe“, von der ich oft rede. Es sind keine Tränen. Denn Tränen sind bei mir sehr rar.
Darum verspüre ich manchmal die Sehnsucht, das ganze unerträgliche „Gefühl der Gefühllosigkeit“ auszukotzen.
Ich stellte mir vor, dass mir die ganze „Scheisse“ aus dem Gesicht läuft und ich es in meinen Händen auffange. Dann könnte ich mir ein Bild davon machen, was mich im Innern so schrecklich fest blockiert und geschmerzt hatte.
Dieses Bild ist also ein Gedankenspiel – ein Wunschdenken, wie ich meine Depression auf simple Art und Weise loswerden könnte.
Das Taubheitsgefühl

Die Glasglocke auf diesem Bild steht im Sinne der Medikamente, die alles betäuben. Sie betäuben die guten Gefühle, welche auf dem Bild als Blumen dargestellt sind, sowie auch die schlechten, hier als schwarze „Sauce“ interpretiert. Es fühlt sich, wenn man noch von „fühlen“ reden kann, alles dumpf an. Das ist manchmal sehr quälend. Daher auch der gequälte Gesichtsausdruck.
Aber: Seit der Einnahme der Medikamente hat meine Konzentration, meine Motivation und die Lust auf Dinge, die mir Freude bereiteten, wieder stark zugenommen.
Das Versteckspiel

Jahrelang versteckte ich meine Depression. Denn ich empfand sie als Schwäche. Darum trug ich immer ein freundliches Lächeln.
Dieses antrainierte Lächeln wurde zu einer Maske, die ich mir kaum mehr abgewöhnen kann. Ich denke, mein Therapeut weiss inzwischen, dass es mir umso schlechter geht, umso breiter mein Lächeln ist.
Wenigstens in meinen Bildern habe ich es inzwischen geschafft, diese Maske abzulegen.
Der Therapeut als Wegweiser

Einen Therapeuten zu finden, bei dem man sich wohl fühlt, ist ein grosses Glück. Und ich habe dieses Glück.
Mein Therapeut ist ein Meister der Körpersprache. Vor ihm fühle ich mich nackt. Ihn habe ich darum als den Maler Sandro Botticelli dargestellt. Denn Botticelli ist für mich der Meister der Kunst. Mein Therapeut ist der Meister der Körpersprache.
Dass ich auf dem Bild keine Haare mehr habe, soll anschaulich machen, wie unangenehm es sein kann, vor jemandem zu sitzen, bei dem meine gewohnte Maskerade nicht funktioniert. Manchmal fühle ich mich auch blossgestellt und in die Ecke gedrängt. Doch genau dann bin ich dazu gezwungen, ehrlich zu mir selbst zu sein.
Zu den Details auf dem Bild. Die Waage symbolisiert zwei Extreme: Die Suizidgedanken und die Lebensfreude. In der einen Schale befindet sich das Gift und giftige Beeren. In der anderen Schale ist das Leben, das ich mit einem Familienfoto, einen Aquarellpinsel und einem Granatapfel dargestellt habe.
Mein Therapeut hat nicht die Aufgabe, die Waagschale zu gewichten. Mit seiner Lupe hilft er mir jedoch, meine Perspektive zu ändern.
Das Loslassen

Manchmal passiert lange gar nichts. Und dann kommt plötzlich ein kurzer Moment, in dem ich etwas loslassen kann.
Auch wenn ich dann nicht viel weinen kann, ist dieser Moment sehr befreiend. Dann werde ich ein Stück Finsternis los.
Durch die Verarbeitung und Weiterentwicklung (=Farbveränderung in der Handinnenfläche) entsteht plötzlich neue Kreativität, die auf meinem Bild als Pflanzen und Granatapfel dargestellt ist.
Über die Künstlerin
Elianne ist 30 Jahre alt und gelernte Medizinische Praxisassistentin.
Es fiel ihr schon immer leichter, ihre Gefühle mit Bildern statt mit Worten auszudrücken.

Sie lebt in der Schweiz und ihrer Depression begegnete sie mit 16 Jahren. „Bis zu diesem Sommer redete ich mit niemandem über mein Wohlbefinden“, sagt Elianne. Das hat sich nun geändert. Inzwischen hat sie einen Therapeuten gefunden. Ihre Kunst hilft ihr, alles zu verarbeiten und weiterzukommen.
Mehr von Eliannes Kunst gibt es hier: elianne.ch