Darf ich vorstellen: Der Leistungsdruck. Er gehört zu meinem Trigger-Team. Die einzelnen Teammitglieder sind die Auslöser für meine Depressionen. Erkennen ich sie, können sie mir helfen, mein Leben gesünder zu gestalten.
Denn um herauszufinden, was mir gut tut, muss ich zuerst wissen, was mir bisher geschadet hat. So kann ich verhindern, dass ich mich wieder in alten Verhaltensmustern wiederfinde. Denn die Versuchung ist gross – schliesslich begleiten mich diese ungesunden Muster seit Jahren. Ich bin mir sie also gewohnt. Und die Gewohnheit ist hartnäckig. Wir Menschen probieren auch auf unseren neuen Pfaden das Gewohnte mitzunehmen. Doch das funktioniert nicht.
Die Ausbreitung
Das Schwierigste zuerst: Oft erkennen wir unsere Trigger nicht. Oft haben wir das Gefühl, „dass ich halt so bin“. Doch keiner von uns ist zu irgendwas verdammt.
Bei mir war es der Leistungs-/Erfolgsdruck, der vermeintlich meine Persönlichkeit formte. Zwar hat er mir auf der psychischen Ebene stets geschadet, auf der anderen Seite hat er mich auch mit Anerkennung von anderen Menschen belohnt. Jahrelang ging ich also diesen Deal ein: Ich lasse mich vom Leistungsdruck formen, dafür erhalte ich Anerkennung. Das ging so lange einigermassen gut, bis ich merkte, dass nichts, was ich jemals erreichen werde, gut genug sein würde. Denn der Leistungsdruck ist nicht zielorientiert, er ist qein gieriger Sammler von Anerkennung.
Alles resultierte darin, dass ich nicht mehr in der Lage war, Dinge zu tun, die mir Freude bereiteten. Denn alles, was ich anfing, wurde vom Schatten des Leistungsdrucks überdeckt und die ursprüngliche Freude erstickte. Somit wurde über die Jahre fast alles zu einem Trigger. Egal ob es eine Arbeit in meinem Job war, oder ich Zuhause das Bad putzen wollte: War das Resultat nicht perfekt, verschlangen mich die düsteren Gedanken. Denn wenn der Leistungsdruck meine Person zu einem Perfektionisten formte und ich nicht alles perfekt ausführen konnte: Wer bin ich dann noch?
Die Maskerade des Leistungsdrucks
Dank meiner Therapien konnte ich (unter anderem) dieses Thema angehen. Mittlerweile bin ich nicht mehr bereit, all meine Freude meinem Leistungsdruck abzugeben. Also nahm ich im letzten Jahr meinen Mut zusammen und begann, Klavierunterricht zu nehmen. Ich wusste, dass mich ein Kampf mit dem Trigger erwarten würde. Denn schliesslich war das der Grund, warum ich seit Jahren auf das Klavierspielen verzichtete.
Zu Anfang lief alles gut, ich hatte Freude an meinem eigenen Klavier und ich freute mich auf meinen wöchentlichen Unterricht. Doch nach wenigen Wochen wurde meine Freude an der Musik von einem unguten Gefühl überdeckt. Es kam dazu, dass ich von nun an nur noch schweissgebadet in den Klavierunterricht ging und Zuhause getraute ich mich fast nicht mehr an mein Klavier zu setzen.
Ich machte mir Vorwürfe, Geld für ein Hobby auszugeben, das ich nicht perfekt beherrsche.
Das Unglaubliche an dieser ganzen Situation war, dass ich nicht merkte, dass mein Leistungsdruck es schaffte, sich meinem Klavier-Hobby anzunehmen! Obwohl ich ja wusste, dass mit diesem neuen Hobby sich mein Leistungsdruck wieder melden würde. Der Grund, warum ich es nicht bemerkte, ist simpel: Ich war es mir gewohnt, dass meine Freude für eine Tätigkeit nur sehr kurz anhalten würde. Auch war ich es mir gewohnt, dass ich mir Vorwürfe machte, etwas nicht fehlerfrei zu beherrschen.
Eine gesunde Priorisierung finden
Ich war also so „betriebsblind“. Erst als ich das Thema Klavier und die fehlende Freude daran in meiner Geschprächs-Therapie thematisierte, wurde mir klar, was passiert ist: Der Leistungsdruck hatte schon längst zugeschlagen – und ich hatte es ihm erlaubt.
Jetzt, da ich mir bewusst war, was los ist, hatte ich die Chance, mich auf meinen ursprünglichen Plan zu besinnen: Ich will meine Freude an der Musik zurückgewinnen und sie nicht ersticken lassen.
Doch wie? Mein ganzes Leben lang begleitet mich dieses Verhaltensmuster auf all meinen Wegen. Wie also sollte ich nun einen Weg ohne es beschreiten? Ich empfand diese Aufgabe so, als müsste ich einen Kuchen ohne Backofen zubereiten. Wie um Himmels Willen sollte das gehen?
Also begann ich mich zu fragen: „Remo, warum möchtest du Klavier spielen?“ Ich versuchte mir diese Frage jedes Mal, wenn ich mich ans Klavier setzte, zu beantworten. Denn dieser Gedankengang half und hilft mir noch immer zu überprüfen, mit welcher Intention ich das vorliegende Musikstück üben will.
Wenn die Antwort „Weil ich dieses Musikstück fehlerfei spielen will“ ist, dann erlaube ich mir nicht mit dem Üben zu beginnen. Erst wenn ich es schaffe, meine Freude an der Musik wieder die oberste Priorität zu geben, wird losgespielt.
Der beleidigte Trigger
Inzwischen gelingt es mir ziemlich gut, meinen Leistungs-Trigger aus meinem Hobby fernzuhalten. Jedoch scheint dieser Teil in mir nicht sehr zufrieden zu sein. Er scheint einen Ort zum Überleben zu suchen und versucht sich nun in Bereiche meines Lebens zu schleusen, in denen ich ihn ebenfalls nicht haben will.
Die Frage ich also: Muss ich meinen Leistungsdruck loswerden? Wie? Oder kann ich ihn auch für positive Zwecke nutzen?
Diese beiden Fragen kann ich im Moment noch nicht beantworten. Denn für mich ist es gerade wichtiger, meine neuen Errungenschaften wie das Klavierspielen zu schützen und bewahren.
Ich hoffe, dass es auch dir heute gelingt, etwas Freude in dein Leben zu lassen🤗
Frohe Festtage,
Remo🦊