Arbeit und Psyche

«Unser Ziel ist unter anderem die bessere Erschliessung des beruflichen Potentials von Mitarbeitenden mit psychischen Erkrankungen in Organisationen», sagt Regina Knöpfel von Continget, einem Unternehmen, das sie zusammen mit Stefan Kessler und Pascal Scholl führt. Das Name Continget kommt aus dem Lateinischen und bedeutet «es wird gelingen».
Alle drei haben operative und strategische Erfahrungen in der Unternehmensführung, im Risikomanagement, im betrieblichen Gesundheitsmanagement und insbesondere im Handlungsfeld der «Arbeit und Psyche». Diese Themen gehen sie in verschiedenen Gremien an.

Ich habe mit Regina Knöpfel darüber gesprochen, welche Vorteile ein Unternehmen hat, wenn es Leute einstellt, die Erfahrung mit psychischen Krankheiten haben – und ich habe sie gefragt, wie offen man mit seiner Vergangenheit bei einem Bewerbungsprozess umgehen sollte.

Frau Knöpfel, welche Chancen hat ein Arbeitgeber, bei seinen Mitarbeitenden Frühanzeichen eines Burn-outs oder einer Depression zu erkennen?
Betroffene verstecken ihre psychische Belastung oft ja gewollt. 
Regina Knöpfel: Diese Beobachtung des Versteckens von frühen Anzeichen hat uns von Continget dazu bewogen, teilweise neue Wege zu gehen: Voraussetzung für das Wahrnehmen von solchen Belastungen ist, dass das Thema psychische Gesundheit in einer Organisation nicht tabuisiert oder verdrängt wird. Ein professioneller und proaktiver Umgang gibt für den Betrieb und für die Betroffenen Chancen. 

Wie sieht ein solch proaktiver Umgang konkret aus?
Beispielsweise können durch ein aktives Risikomanagement und passende Analysen Arbeitsplatzkonflikte, schleichende (psychische) Erkrankungen und, damit verbunden, höhere Kosten im Bereich Krankentaggeld respektive Risikobeitrag in der beruflichen Vorsorge eher vermieden werden. Auch geht es darum, bewusst zu machen, dass ein gewisser Anteil der Mitarbeitenden psychisch belastet oder krank ist, aber deswegen nicht unbedingt arbeitsunfähig. Hier gilt es, die Arbeitsfähigkeit mit geeigneten Massnahmen möglichst gut zu erhalten. 

Wenn ich als Arbeitnehmer merke, dass meine psychische Belastung zu gross wird, würde ich im Idealfall mit meinem Vorgesetzten darüber sprechen. Dies bedeutet wiederum, dass ich viel Privates mit meinem Arbeitgeber teilen müsste.
Wie kann dieser Schritt erleichtert werden? 
Wir stellen überraschend häufig fest, dass, bei einem guten Verhältnis zu Vorgesetzten, kaum eine Hemmschwelle besteht. Nach unserer Erfahrung erleichtert eine gesunde Unternehmenskultur den Mitarbeitenden, sich dem Vorgesetzten oder dem HR gegenüber zu öffnen und das Versteckspiel zu beenden.  

Oft liegt es an der Unternehmenskultur, ob Arbeitnehmer ihre psychische Erkrankung verstecken oder mit dem Vorgesetzten eine Lösung suchen, sagt Regina Knöpfel.

Welche Massnahmen können Unternehmen ergreifen, damit ihre Mitarbeiter erst gar nicht psychisch belastet werden? 
Die Unternehmen können Rahmenbedingungen schaffen, in denen Mitarbeitende nicht übermässig psychisch belastet werden. So sollte nach betriebs- oder aufgabenbedingten psychischen Belastungen klar sein, an wen sich Mitarbeitende wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen. Früh geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen ist immer besser als erst dann zu reagieren, wenn es bereits unübersehbare Probleme gibt. 

Soll ich im Bewerbungsprozess offen mit meiner psychischen Erkrankung umgehen?
Wenn ein Unternehmen oder der konkrete Vorgesetzte keinen offenen, konstruktiven und vorurteilsfreien Umgang mit psychischen Erkrankungen pflegt, würde ich davon abraten, dort zu arbeiten. Nach meiner Einschätzung trägt ein offener Umgang dazu bei, dass ich am Arbeitsplatz ich sein kann, unabhängig von meiner Vorgeschichte. Ich würde nicht in einem Unternehmen arbeiten wollen, in dem ich einen Teil von mir verstecken muss. Eventuell ist dadurch meine Auswahl an geeigneten Unternehmen, für die ich arbeiten möchte, kleiner. 

«Pflegt ein Unternehmen keinen Vorurteilsfreien Umgang mit psychischen Erkrankungen, rate ich davon ab, dort zu arbeiten.»

Regina Knöpfel

Welche Vorteile hat ein Unternehmen, wenn es Leute einstellt, die zum Beispiel eine Depression überwunden haben? 
Menschen mit der Erfahrung einer psychischen Erkrankung haben oft eine besondere Aufmerksamkeit für das Thema. Sie erkennen meist früher und zuverlässiger, wenn vergleichbare Entwicklungen bei anderen Mitarbeitenden passieren. Gute Beispiele helfen auch, das Thema im Unternehmen überhaupt offen anzugehen.  

Wie stehen die Chancen, nach einer psychischen Erkrankung am alten Arbeitsplatz weiter Karriere machen zu können?
Die Chancen für eine Karriere oder Beförderung hängen neben den fachlichen und persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten einer Person nach einer psychischen Erkrankung sehr stark davon ab, wie konstruktiv der Prozess der beruflichen Eingliederung danach verlaufen ist. Dies ist wiederum eine Mischung aus den Optionen, die Vorgesetzte beziehungsweise Unternehmen bieten, und dem, was betroffene Mitarbeitende je nach Erkrankung einbringen können. Unsere Erfahrung ist, dass ein offener, konstruktiver und vorurteilsfreier Umgang mit psychischen Erkrankungen eine gute Basis ist.

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Nicht immer ist die Arbeit der Grund für ein Burn-out oder eine Depression – soll der Arbeitgeber trotzdem einbezogen werden? 
Sobald eine psychische Belastung Auswirkungen auf das Verhalten oder die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden hat, ist nach meinem Verständnis die vorgesetzte Person oder eine neutrale Stelle einzubeziehen. Voraussetzung dafür, dass es zu einem hilfreichen Prozess kommt, ist, der strategisch verankerte, unterstützende Umgang mit Mitarbeitenden, die belastet sind. 

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?
Seitens Continget wünschen wir für uns für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, dass uns immer stärker gelingt, einen offenen, konstruktiven und vorurteilsfreien Umgang mit psychischen Erkrankungen zu pflegen. Jeder Mensch hat eine Psyche und zwischen psychischer Gesundheit und psychischer Erkrankung bewegen wir uns in einem Kontinuum mit fliessenden Grenzen.

Das Team von Continget: Stefan Kessler, Pascal Scholl und Regina Knöpfel (von links)
Bild zVg

weitere Informationen:

2015 hat Continget in der «Schweizerischen Ärztezeitung» einen Artikel unter anderem über den «Teufelskreis des beruflichen Versteckspiels» (Abbildung) publiziert.

Mehr über das Unternehmen Continget erfährst du hier.

Wie offen gehst du mit deiner psychischen Erkrankung um? Lass es mich wissen! 🤗
Gerne kannst du deine Geschichte auch anonym erzählen, schreib mir via mail@dervolpe.ch. Ich freue mich auf deine Nachricht.

Herzlichst
Remo🦊